Kantamanto-Markt: Resilienz inmitten der Ruinen und der globale Ruf nach Verantwortung

Im Herzen von Accra, Ghana, liegt der Kantamanto-Markt – ein Symbol von Resilienz und Einfallsreichtum sowie ein eindringlicher Spiegel globaler Ungleichheiten. Als größter Secondhand-Kleidermarkt Westafrikas ist Kantamanto ein Ökosystem, in dem Einfallsreichtum und Notwendigkeit aufeinandertreffen. Hier werden aussortierte Kleidungsstücke aus dem Globalen Norden repariert, umgearbeitet und in Lebensgrundlagen für Zehntausende verwandelt.

Im Mai 2024 haben wir Yayra Agbofah, den Gründer von The Revival, zu unserer Fashion Experience Veranstaltung nach Hamburg eingeladen. The Revival ist ein in Ghana ansässiger Verein und eine gemeinschaftsgeführte Organisation, die durch die Wiederverwertung globaler Textilabfälle, die nach Ghana gelangen, Bewusstsein, Kunst, Mode und Arbeitsplätze schafft.

Doch am 2. Januar 2025 wurde dieses lebendige Zentrum schwer getroffen. Ein verheerendes Feuer vernichtete 80 % des Marktes, zerstörte über 2.000 Geschäfte und ließ zahlreiche Existenzen in Schutt und Asche zurück. Dieses Feuer, nicht das erste in der Geschichte Kantamantos, verdeutlicht die prekären Bedingungen, unter denen diese Gemeinschaft arbeitet, und lenkt den Blick auf die tieferliegenden systemischen Probleme in der globalen Modeindustrie.

Die Entstehung des Kantamanto Marktes: Kreativität aus der Not heraus?

Die Ursprünge des Kantamanto-Marktes lassen sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen, als Ghana, wie viele andere Länder Afrikas, begannen, Secondhand-Kleidung aus Europa und Nordamerika zu importieren. Was zunächst als ein kleiner Strom begann, entwickelte sich in den 1980er- und 1990er-Jahren zu einer regelrechten Flut, angetrieben durch die Globalisierung und die von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank auferlegten Strukturanpassungsprogramme. Diese Programme liberalisierten Ghanas Wirtschaft und ebneten den Weg für den massiven export aus dem Globalen Norden von elektronischen Gebrauchtwaren, darunter auch Kleidung.

Der Markt entstand aus einer Notwendigkeit heraus. Für viele Ghanaer waren die hohen Kosten neuer Kleidung unerschwinglich, weshalb erschwingliche Secondhand-Kleidung, lokal als obroni w’awu („die Kleider des toten weißen Mannes“) bekannt, eine wichtige Lebensgrundlage darstellte.

Kantamantos Doppelfunktion: Kreislaufwirtschaft versus Abfall – Kolonialismus

Kantamanto steht exemplarisch für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in der Mode, deckt jedoch auch die düsteren Realitäten des sogenannten Abfall-Kolonialismus auf – ein Begriff, der 1989 geprägt wurde, um die Praxis des Globalen Nordens zu beschreiben, seinen Abfall in den Globalen Süden zu exportieren. Jede Woche gelangen geschätzt 15 Millionen Kleidungsstücke nach Ghana, von denen ein Großteil in Kantamanto verarbeitet wurde.

Während die Händlerinnen und Händler unermüdlich daran arbeiten, diese Kleidungsstücke zu recyceln oder upcyclen, bleibt ein erheblicher Anteil – zwischen 10 % und 40 % – unbrauchbar und trägt zu den wachsenden Umweltproblemen des Landes bei. Dieses Ausmaß an Müll stellt Länder wie Ghana vor immense Herausforderungen, während es die Überproduktion und den übermäßigen Konsum im Globalen Norden entlastet.

Ein Markt in Flammen: Menschliche und wirtschaftliche Kosten

Das Feuer am 2 Januar 2025 ist eine eindringliche Erinnerung an die Verwundbarkeit Kantamantos. Seine improvisierte Bauweise, die Überfüllung und das Fehlen grundlegender Sicherheitsmaßnahmen machen den Markt anfällig für Katastrophen. Doch dies ist nicht nur eine lokale Krise – es ist ein globaler Weckruf. Die Zerstörung von Kantamanto betrifft das Leben von über 30.000 Menschen, die direkt von diesem Markt abhängig sind.

Die Bilder von verbrannten Ständen und verwaisten Verkaufsflächen sind nicht nur Szenen der Verwüstung, sondern ein Aufruf an die Modeindustrie, ihre Verantwortung anzuerkennen. Trotz ihrer enormen Widerstandskraft können die Händlerinnen und Händler Kantamantos diese Last nicht allein tragen.

Globale Solidarität: Ein Aufruf zu Verantwortung und Gerechtigkeit

Die Tragödie von Kantamanto macht die dringende Notwendigkeit eines systemischen Wandels in der globalen Modeindustrie deutlich. Es ist ein Appell an Konsumenten, Marken und politische Entscheidungsträger:innen, die Ungleichheiten in diesem System anzugehen.

Eine vorgeschlagene Lösung ist die Einrichtung eines Global Fashion Solidarity Fund der marginalisierte Gemeinschaften im Globalen Süden gezielt unterstützt in Zusammenarbeit mit diasporischen Organisationen, Initiativen, Unternehmen aus dem globalen Norden. Ein solcher Fund könnte lokale Innovationen fördern, für gleichberechtigte Handelspraktiken eintreten und in nachhaltige Infrastruktur investieren, um Märkte wie Kantamanto langfristig zu schützen.

Perspektiven: Ein Aufruf zu Empathie und Gerechtigkeit

Für die Diaspora ist Kantamanto mehr als ein Markt – er ist ein Symbol für die Resilienz, Kreativität und den Einfallsreichtum des Kontinents. Gleichzeitig ist er jedoch eine Erinnerung an die historische und fortwährende Ausbeutung, die den globalen Systemen zugrunde liegt. Abfall – Kolonialismus ist, wie andere Formen der Ausbeutung, ein Spiegel der Ungleichheiten, die die Beziehungen zwischen dem Globalen Norden und dem Süden seit langem prägen.

Als Teil der Diaspora tragen wir die Verantwortung, diese Geschichten zu verstärken, Narrative zu hinterfragen, die die Kreativität afrikanischer Gemeinschaften ausblenden, und uns für einen systemischen Wandel einzusetzen. Das Überleben Kantamantos ist eine Frage globaler Gerechtigkeit.

Was kannst du tun?

Der Weg nach vorn erfordert kollektives Handeln. Hier sind einige Möglichkeiten, wie Du helfen können:

  • Unterstütze Partnerschaften: Spendet an unser Go Fund Me sodass The Revival, die Betroffenen des Feuers mit Soforthilfe unterstützen kann.
  • Bewusstsein schaffen: Teile unsere Inhalte, fördere Dialoge über Waste Colonialism, Sichtbarmachung marginalisierte Plattformen, erkläre die Auswirkungen des Abfall – Kolonialismus in Kooperation mit marginalisierten Expert:innen und setze dich für systemische Veränderungen in der globalen Modeindustrie ein.                    
  • Für Veränderungen eintreten: Sei eine:r Verbündete:r für authentische Repräsentanz, setze dich für nachhaltige Kooperationen ein, sowie Praktiken in der Modeindustrie und die Einrichtung eines Global Fashion Solidarity Fund ein. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten. 

Eine gemeinsame Verantwortung

Kantamanto ist ein Spiegelbild der Ungerechtigkeiten im globalen Modesystem. Diese Geschichte fordert uns auf, unser Konsumverhalten zu hinterfragen, die globalen Ströme von Gütern und Abfall neu zu denken und uns für eine Zukunft einzusetzen, in der Märkte wie Kantamanto, Gikomba oder Owino nicht nur überleben, sondern als Zentren für Innovation und Ermächtigung gedeihen. Einen verantwortungsvollen Beitrag leistet die Or Foundation, indem sie Forschungen in Ghana finanzieren.

Lasst uns Kantamanto’s  Resilienz würdigen, indem wir Empathie, Gerechtigkeit und Solidarität in das Gewebe unserer gemeinsamen Zukunft einweben.

Foto credit: The Revival

Foto credit: Marche Noir Lomé Paris

Foto credit: Kantamanto market @kino_zen | @morrelyf_

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